Ein Buchstabe mit Charakter. Vor einiger Zeit erschütterte eine folgenschwere Entscheidung des Rats für Rechtschreibung die deutsche Gestalter- und Typografenszene. Die Großbuchstabenvariante des ß (Versaleszett) wurde offiziell zugelassen und ist somit Teil der deutschen Rechtschreibung. Diese Entscheidung spaltet Designer und Typografen.
So ist zum Beispiel unsere Chefin ist mit Leib und Seele Typografin. Man hat sie nach Abschluss der Gesellenprüfung noch in einen Bottich mit kaltem Wasser geworfen, einen nassen Schwamm über ihrem Kopf ausgedrückt und sie nach alter Sitte und Brauch zum gegautschten Jünger Gutenbergs getauft. Mit Schriftsetzer-Urkunde! So ist seit Jahren das nicht mittig sitzende Logo des Telefonanbieters O2 an dessen Münchner Unternehmensgebäude ein andauernder Aufreger für Sie, denn dieses wurde exakt auf die insgesamte Breite mittig platziert – und nicht wie in so einem Falle und ihrer Meinung nach korrekt – auf optische Mitte. Die tiefgestellte 2 müsste ihrer vehementen Meinung nach flächig weniger gewichtet werden, da der leere Raum darüber visuell berücksichtigt werden müsse. Passen Sie mal auf, wenn Sie beim nächsten Mal daran vorbeikommen. Und was sagen Sie dazu?
Aber nun zurück zum eigentlichen Thema. Auf der einen Seite steht der jahrelange Kampf für die Gleichstellung des Eszett und dessen Aufrücken in die Reihen der anderen Großbuchstaben und auf der anderen Seite, diejenigen, die ein großes ß als unästhetisch und völlig unnötig ansehen. So stellt sich uns natürlich die Frage, wie sieht dieses ominöse große „ß“ denn eigentlich aus? Und warum ist dieser Großbuchstabe so besonders? Und wie ist es so weit gekommen, dass sich zwei Lager – pro und contra – entwickelt haben?
Beginnen wir ganz am Anfang mit der eigentlichen Entstehung des ß. Vorneweg, das ß (Eszett) ist eine Eigenart der deutschen Schriftsprache und somit typisch Deutsch. Weltweit wird es in keiner anderen Sprache benutzt. Sogar die Schweizer haben den etwas sonderbaren Buchstaben in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts aus ihrem Alphabet verbannt. Aber die Entstehungsgeschichte dieses Buchstabens geht wesentlich weiter zurück.
Von ca. 500 bis 800 nach Christus vollzog sich die zweite germanische Lautverschiebung unter anderem auch im heutigen Deutschland. Vereinfacht ausgedrückt versteht man darunter, dass die Menschen über Jahrhunderte hinweg immer wieder ihre Aussprache durch verschiedene Einflüsse verändert haben und sich so die verschiedenen Sprachen entwickelt haben. Im Englischen beispielsweise mehr oder weniger gegensätzlich zum scharfen s ein weiches „t“ wie bei „that“. In der damals verwendeten Frakturschrift (wenn man überhaupt schreiben konnte) wurde das „ß“ in einer Buchstabenkombination aus dem „langen s“ (ſ) „z“ und „s“ dargestellt. Also ist das „ß“ vermutlich im Ursprung eine Ligatur.
Beispiele:
oe → œ
ae → æ
et → &
fs → ß
Mit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert entstand dann final der eigenständige Buchstabe „ß“. Allerdings gab es den Buchstaben nur in der Kleinschreib-Version, da es sowohl damals als auch bis heute, keine deutschen Wörter mit einem „ß“ am Anfang gab, sah man keine Notwendigkeit eines Großbuchstabens. Nun sind viele Jahrhunderte vergangen und das „ß“ ist immer noch Teil der deutschen Sprache. Die Verwendung des „ß“ ist allerdings nicht so einfach, denn um den sonderbaren Buchstaben gibt es zahlreiche Ausnahmeregelungen in der Verwendung.
Ein schönes Beispiel ist das Wort „Maus“: Maus wird immer mit einem normalen s geschrieben, obwohl es genau so scharf ausgesprochen wird wie das Wort „weiß“. Von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 90er Jahre kam das „ß“ zum Beispiel nach langen Vokalen zum Einsatz (z. B. Straße, Maß) oder nach Doppelvokalen (z. B. heißen). Nach der Rechtschreibreform im Jahr 1996 wird nach einem Vokal und vor einem Konsonanten ein „s“ (z. B. Frust, Knast) verwendet. Kurze Konsonanten dagegen bekommen ein „ss“ (z. B. müssen, Kuss).
Die Verwendung des Buchstabens ist nur ein Teil der Problematik rund um das Eszett – was uns zum nächsten und eigentlichen Punkt dieses Blogs bringt: der Großbuchstabe des ß. In der Typografie gilt die Regel, dass das „ß“ im Versalsatz (also in der Großschreibung) immer durch ein „ss“ aufgelöst wird. Ein kleines „ß“ ist hier also nicht zulässig. Diese Regel entspricht der deutschen Rechtschreibung, ist allerdings nur so halb überzeugend, denn eigentlich handelt es sich bei dem Eszett ja um eine Ligatur aus „s“ und „z“ und somit ist eine Übertragung auf „ss“ eigentlich falsch.
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurde in Deutschland vornehmlich in gebrochener Schrift gesetzt (Buchdruck). Wegen der teilweise ornamentalen und sehr ausladenden Verzierung der Großbuchstaben am Wortanfang, wurden keine Worte komplett in Versal gesetzt. Durch die Weiterentwicklung der Schrift und verschiedenen gestalterischen Trends und Stilrichtungen wurde die Verwendung kompletter Wörter in Großbuchstaben immer populärer.
So klaffte plötzlich eine Lücke im Alphabet der deutschen Großbuchstaben. Nun wurde diese Lücke vermeintlich geschlossen und somit das große „ẞ“ offiziell Teil der deutschen Großbuchstaben und darf nun auch so verwendet werden. Jedoch verfügt bis dato nicht jede Schriftart über die große Version dieses Buchstabens. Die reale Umsetzung einer durchgängigen Lösung lässt bis auf Weiteres also noch auf sich warten.
Abschließend lässt sich sagen, dass das Eszett wohl immer ein kontroverser Buchstabe im deutschen Sprachgebrauch bleiben wird. Es wird sicherlich noch etwas dauern, bis sich die Großbuchstabenversion etabliert hat und den Weg in den Alltag eines jeden gefunden hat. Zu Beginn erstmal eine Aufgabe: versuchen Sie doch mal ein großes ẞ auf Ihrer Tastatur einzugeben. Auch die geliebte Shift-Taste ist hier leider keine Hilfe. Aber kein Problem es gibt ja einige Tastenkürzel dafür … einen für Mac, einen für Geräte ab Windows 8, für ältere Geräte … die Verwirrung um das Eszett wird passenderweise auch hier fortgeführt. Punkt.